Dies ist der fünfte Artikel aus unserer Themenreihe „Digitale Vernetzung der Wandelbewegung“.
Wir sind dankbar dafür, mit green net project nun auch Kontakte in die deutschsprachige Schweiz aufgebaut zu haben. Für diesen Artikel haben wir ein Interview mit Gallus Bühlmann geführt.
Beschreibe in max. 3 Sätzen das Projekt, an dem du gerade arbeitest
Wandel.jetzt ist eine Vereinigung von verschiedenen Schweizer Wandel-Initiativen. Das Projekt wird eine Vernetzungsplattform erstellen, die einen Veranstaltungskalender und eine digitale Karte beinhaltet. Ziel ist es, dass Einzelpersonen Anschluss an bestehenden Wandel-Initiativen finden und einen Überblick über Aktivitäten und Projekte bekommen.
Nutzt ihr eine bestehende Plattform-Lösung oder entwickelt ihr etwas eigenes?
Unser Fokus liegt nicht darauf, etwas Neues zu programmieren, was es anderswo schon gibt, sondern vielmehr auf Kooperationen mit Initiativen, die bereits etwas entwickelt haben.
Wir arbeiten bspw. mit den Stadtwandlern in Freiburg und Transition Zürich zusammen. Stadtwandler hat eine bestehende Plattform, die wir gemeinsam weiterentwickeln. In Kooperation mit Transition Zürich und Elyoos entwickeln wir Transition-Connect – ein Tool zum Datenaustausch zwischen mehreren Plattformen.
Warum habt ihr eure Entscheidung so getroffen?
Es macht keinen Sinn, alles dreimal zu erfinden. Wir fokussieren uns auf den Austausch von Daten unter den Plattformen. Dafür braucht es keine völlig neue Plattform, sondern nur die Vernetzung von bestehenden Tools. Die Vernetzung kann über Transition-Connect erfolgen. Dies fördert insbesondere den Austausch gemeinsamer Datensätze – Veranstaltungen und Organisationsprofile, Bloginhalte etc.
Was ist der Zweck der Plattform, die ihr einsetzt?
Wir wollen Einzelpersonen mit Wandel-Initiativen zusammenbringen. Hierbei kombinieren wir Online- und Realvernetzung. Geplant sind u.a. 2-3 Events und Partys. Partys gab es bereits mit Kooperationspartnern, zuletzt in Basel, demnächst in Olten, Zürich oder Bern.
Mit der Plattform holen wir Einzelpersonen ab und bringen sie in Kontakt mit Projekten, um sich konkret zu engagieren. Organisationen werden zu mehr Zusammenarbeit und Wissensaustausch angeregt, Behörden und Politik werden in der Kooperation von staatlichen Organen mit kleinen und mittleren privaten Initiativen unterstützt, um gesetzte Ziele wie jene der Agenda 2030 zu erreichen. Schließlich machen wir einer breiten Öffentlichkeit eindrücklich sichtbar, wie viele engagierte Menschen und innovative Projekte für eine lebenswerte Zukunft es schon gibt.
In welchem Stadium befindet sich die Plattform (Idee, Prototyp, fertiges Produkt)?
Die Plattform befindet sich noch in Entwicklung. Im Frühjahr werden wir sie voraussichtlich online stellen. Die Stadtwandler haben bereits eine Beta-Version veröffentlicht. Wir möchten die Usability noch weiter ausbauen und weitere Funktionen integrieren.
In der nächsten Version testen wir auch bereits Transition-Connect – also ob der Datenaustausch über mehrere Plattformen funktioniert.
Für welche Zielgruppe ist die Plattform gedacht?
Wir wenden uns an alle Akteure der Zivilgesellschaft, die an einer sozial-ökologischen Transformation unserer Welt arbeiten: Einzelpersonen (KonsumentInnen und Menschen, die sich in Projekten engagieren möchten), Organisationen sowie Behörden, Politik und staatliche Organe. Wir suchen auch den Austausch mit anderen Kartierungs- und Vernetzungs-Initiativen – denn gemeinsam können wir die „weißen Flecken“ auf den Karten verschwinden lassen.
Wie erreicht ihr eure Benutzer?
Der Trägerverein ist ein Zusammenschluss von verschiedenen Wandel-Organisationen, diese wiederum wenden sich an ihre Mitglieder, sind also Multiplikatoren.
Es ist nicht so, dass wir uns das Konzept einfach im luftleeren Raum ausgedacht haben. Vielmehr sind die Gründungsorganisationen zusammengekommen und haben ihren Bedarf formuliert. Die Mitglieder der Organisationen brennen also schon darauf, erste Ergebnisse sehen zu können.
Wir haben auch vor, zukünftig noch weitere Organisationen anzusprechen. Ein Konzept hierzu wird gerade noch entwickelt.
Wie groß ist die Community der Plattform und wie aktiv ist diese?
Der Verein wurde von 13 Organisationen gegründet, anschließend sind ca. 1-2 Initiativen dazu gekommen. Einige haben 100 Mitglieder und mehr. Da wir Wandel.jetzt noch nicht online gestellt haben, können wir nicht abschätzen, wie aktiv die Community sein wird. Ich persönlich nehme ein großes Interesse und Bedürfnis nach einer Vernetzungsplattform war und hoffe daher auch auf rege Benutzung.
Hat die Plattform einen thematischen Schwerpunkt?
Allgemein geht es um eine Veränderung der Gesellschaft hinsichtlich Nachhaltigkeit und einem bewussten Umgang mit der Natur und den Menschen. Konkrete thematische Schwerpunkte setzen wir bewusst nicht, denn das Spektrum ist sehr breit. Um den NutzerInnen dennoch zu ermöglichen, sich in bestimmten Nischen zu informieren, haben wir eine Filterfunktion vorgesehen. Dort kann man die Themenbereiche auswählen, für die man sich interessiert.
Was sind die Kernfunktionen der Plattform?
Auf Wandel.jetzt gibt es ein Verzeichnis und eine Karte aller Veranstaltungen und Organisationen aus dem Nachhaltigkeits-Bereich. Es gibt eine Such- und Filterfunktion, um Einträge aus bestimmten Themenbereichen zu filtern.
Angemeldete BenutzerInnen können dort Einträge vornehmen. Nicht angemeldete NutzerInnen können nur lesen.
Für die Zukunft haben wir vor, auch Neuigkeiten bzw. Blogartikel über die Plattform zu verbreiten. Es gibt auch Ideen zu einem kollaborativen Newsletter, der dann Nachrichten von mehreren Organisationen bündelt.
Was ist das Alleinstellungsmerkmal der Plattform?
Bislang gibt es keine umfängliche Karte, die alle Aktivitäten und Projekte in der Schweiz abbildet. Wir würden hier somit etwas schaffen, was es in dieser Form bei uns noch nicht gibt.
Besonders spannend ist auch Transition-Connect – also ein automatisierter Datenaustausch zwischen mehreren Karten-Plattformen. So ein Bindeglied zwischen mehreren Plattformen gibt es bislang auch nicht.
Gibt es ähnliche Plattformlösungen / Mitbewerber?
Ja, die gibt es in der Schweiz, Österreich und Liechtenstein. Nach unseren Recherchen sind diese Plattformen oft auf ein Thema oder eine Region ausgerichtet oder haben eine ältere Technik im Einsatz.
Mitbewerber wären sozusagen alle Projekte, die den Fokus auf länderübergreifende Kartierung setzen. Es gibt auch die Plattform ArboLife, die allerdings eher auf Konsum und ökologischen Lifestyle spezialisiert ist.
Wie ist der technische Aufbau der Plattform?
Die Plattform basiert auf einer Drupal 8 Entwicklung der Stadtwandler Freiburg und wird gemeinsam mit Wandel.jetzt und Transition Zürich weiterentwickelt. Sie verwendet Standardmodule sowie mehrere Module, die selbst entwickelt wurden. Das Datenmodell ermöglicht die Verknüpfung alle Einträge untereinander, bspw. Events und Organisationen. Es gibt auch eine Reihe APIs und Schnittstellen, z.B. für iCal oder für Datenaustausch mit Transition-Connect.
Was ist Transition-Connect und wie funktioniert es?
Transition-Connect ist eine Art Bindeglied, das den Datenaustausch zwischen mehreren Plattformen ermöglicht. In unserem Fall heißt das – Stadtwandler, Transition Zürich und Wandel.jetzt nutzen dieselbe Software und haben jeweils eigene lokale Datenbestände. Über eine Schnittstelle (REST API) verteilt der Dienst Transition-Connect Veranstaltungen und Organisationen von einer Plattform auf die anderen und umgekehrt. Jede Plattform kann selbst bestimmen, welche Daten von welchen Regionen und zu welchen Themen sie austauschen möchte. Somit sind Einträge von regionalen Karten auch auf überregionalen Karten sichtbar und umgekehrt. In der Region Freiburg ist das besonders spannend, weil das auch eine Kooperation über die Landesgrenze hinweg fördert.
Hier hört das Potenzial von Transition-Connect aber noch nicht auf. Es gibt nämlich zahlreiche weitere Karteninitiativen, die alle eine bestimmte Region (z.B. Berlin im Wandel) oder ein bestimmtes Themenfeld (z.B. Grüne Startups, oder Unverpackt-Läden) abbilden. Mit Transition-Connect können alle Kartendaten zusammengeführt werden. Das wirkt einer Zersplitterung entgegen und spart auch einiges an Zeit und Energie, weil ein und dieselbe Organisation nicht mehr in 10 Plattformen eingetragen werden muss, sondern nur noch in einer – und die Daten werden automatisch verteilt.
Das Konzept finde ich vor allem dadurch spannend, dass die bestehenden Kartenplattformen ihre Autonomie behalten können. Die Plattformen können so bleiben wie sie sind und brauchen lediglich eine Schnittstelle zu Transition-Connect bedienen, um weitere Daten ins Transition-Connect Netzwerk einzuspeisen bzw. auszulesen. Da es unter den zahlreichen Kartenprojekten keinen einheitlichen technischen Standard gibt, haben wir eine einfach zu steuernde REST-API definiert. Die lässt sich bei Drupal- und einigen anderen Systemen mit einem Modul implementieren, für einzelne Systeme muss man diese Schnittstelle selber programmieren. Da die Synchronisations-Logik durch Transition-Connect übernommen wird, hält sich der Aufwand für die Anbindung der jeweiligen Plattformen in Grenzen.
Ist die Plattform eine Open-Source-Lösung?
Ja, der Code ist aber noch nicht öffentlich sichtbar. Die gemeinsame Code-Basis von Stadtwandler.org, Wandel.jetzt und transition-zuerich.ch liegt aktuell auf GitLab und wird öffentlich zugänglich gemacht, sobald die Beta-Version im April / Mail 2018 fertig entwickelt ist.
Hat die Plattform Schnittstellen?
Ja, die entscheidende Schnittstelle hierbei ist Transition-Connect. Es gibt eine iCal-Schnittstelle für die Anbindung des eigenen Kalenders. Speziell ist eine Export-Schnittstelle zu erwähnen, über welche direkt ein Stadtplan im Großformat auf Papier gedruckt werden kann. Wir überlegen auch fairlogin einzusetzen, das ermöglicht ein Single-Sign-On für ein ganzes Ökosystem. Ähnlich wie ich mich mit einem Facebook-Login auf mehreren Plattformen anmelden kann, wird das auch mit dem fairlogin möglich sein.
Wie ist das Geschäftsmodell der Plattform?
Das Geschäftsmodell wird gerade entwickelt. Wir streben zunächst eine Startfinanzierung an und hoffen in 5-6 Jahren selbsttragend zu sein. Denkbar wäre auch eine Teilfinanzierung über Zusatzfunktionen, bspw. Kollaborationstools.
Was ist die Historie der Plattform?
Nach mehreren Netzwerktreffen zwischen 2014 und 2015, bei denen immer wieder digitale Plattformen thematisiert wurden, entstand im April 2016 die Projektidee. Der Wunsch nach so einer Vernetzungsplattform ist bei 13 Organisationen gleichzeitig aufgekommen, weshalb wir mit diesen am 13.01.2017 den Verein „Wandel.jetzt“ gegründet haben.
Der Kontakt zu Stadtwandler ist in der Evaluierungsphase im Sommer 2017 entstanden.
Wer steht hinter der Plattform?
Der Verein „Wandel.jetzt“ besteht aktuell aus 14 Organisationen (Vollmitgliedern) und hat 6 Vorstandsmitglieder. Im Kernteam arbeiten bisher Benno Flory und Gallus Bühlmann, wir sind aber gerade dabei, unser Team zu erweitern. Die Softwareentwicklung erfolgt in Kooperation mit Transition Zürich und Stadtwandler Freiburg.
Wo ist die Geschäftsstelle der Plattform?
Die Anschrift des Vereins ist derzeit noch mit der Privatadresse eines Präsidiumsmitglieds identisch. Wir streben aber an, eine eigene Geschäftsstelle zu schaffen. Das haben wir bei unseren Plänen für das Fundraising berücksichtigt.
Welche Rechtsform habt ihr?
Wandel.jetzt ist ein gemeinnütziger Verein.
Wünscht ihr euch Unterstützung?
Ja, insbesondere die Finanzierung ist gerade interessant. Es gibt aber auch die Möglichkeit, sich als BotschafterIn oder ProgrammiererIn einzubringen. Auch die Themenfelder Kommunikation und Marketing sind noch etwas dünn besetzt. Hier freuen wir uns über Interessierte.
Kooperiert ihr weiteren Partnern?
Direkte Kooperationen gibt es mit Transition Zürich und Stadtwandler Freiburg. Beim Hosting mit Revamp-IT. Durch den langen Projektvorlauf haben wir bereits Kontakte zu vielen Projekten im DACH-Raum. Zuletzt haben wir auch eine Anfrage aus Weißrussland erhalten. Mit Kartevonmorgen, Human Connection und WECHANGE sind wir auch im Gespräch. Hier gab es zuletzt ein Treffen in Stuttgart mit der Vision, einen Datenaustausch zwischen diesen Netzwerken zu ermöglichen sowie einander gegenseitig bei der Software-Entwicklung wie auch beim Fundraising zu unterstützen.
Bei einer Verteilung von Daten über mehrere Plattformen ist natürlich das Datenschutzthema auch spannend. Einige der Beteiligten haben sich bereits intensiv damit auseinandergesetzt und können ihre Erfahrung einbringen.
Was sind die nächsten Schritte für die Plattform?
Im Februar erarbeiten wir unser Finanzierungsmodell bzw. Businessmodell. Im Laufe des Frühlings werden wir unsere Beta-Version online stellen. Anschließend wollen wir auf die NutzerInnen direkt zugehen und das Netzwerk erweitern. Alle anderen Schritte sind noch nicht beschlossen, das hängt auch von der Finanzierung ab.
Was ist dein Fazit zur Plattform?
Das Schöne ist, dass sich „Wandel.jetzt“ als Plattform gar nicht durchsetzen muss. Durch die Verwendung von Transition-Connect geht es vielmehr um die Entwicklung eines Ökosystems, das einen breiteren Datenaustausch ermöglicht. Mehrere Plattformen können an das Ökosystem andocken und mit denselben Daten arbeiten. Wenn das gemeinsame Login mit fairlogin auch noch klappt, wächst es weiter zusammen.
Im Ausblick wäre denkbar, Kollaborationstools oder eine Nextcloud für die Mitglieder zur Verfügung zu stellen oder nachhaltige Konsum-Orte und -Produkte in die Karte aufzunehmen. In fernerer Zukunft sehe ich auch eine App, um Wandel.jetzt auch auf Mobilgeräten nutzen zu können.
Insgesamt stellt der Einsatz von Transition-Connect einen extremen Mehrwert für alle einzelnen Plattformen dar.
Wir kommen übrigens zu Pfingsten auch zum Makers-Lab nach Ferropolis und freuen uns dort über den Austausch mit anderen Plattform-Betreibern. Ggf. stellen wir sogar eine kleine Schweizer Delegation von mehreren Organisationen.
Eine Antwort auf „Wandel.jetzt – Schweizer Initiative für Vernetzung des Wandels“