Wir haben ein Interview mit Sebastian Kuehs geführt, der bei der fairkom Gesellschaft angestellt ist.
Dies ist der elfte Artikel unserer „Themenreihe Digitale Vernetzung der Wandelbewegung„.
Beschreibe in max. 3 Sätzen das Projekt, an dem Du gerade arbeitest
Die fairapps Plattform stellt über einen zentralen Single-Sign-On-Zugang (fairlogin) eine Reihe von Kommunikations- und Kollaborations-Apps für nachhaltige Initiativen und Projekte, Organisationen, Firmen und Privatpersonen zur Verfügung. Alle Anwendungen sind Open Source bzw. stehen unter der Creative Commons Lizenz. Beim Hosting kommen Energie-effiziente und CO2-neutrale Server zum Einsatz.
Nutzt Ihr eine bestehende Plattform-Lösung oder entwickelt Ihr etwas Eigenes?
Sowohl als auch. Wir entwerfen eigene und nutzen bestehende Open-Source-Anwendungen und erweitern diese für die Bedürfnisse unserer KundInnen. Die Anwendung fairchat basiert z.B. auf Rocket.Chat – und wir haben sie um einen Videochat, eine mobile App und weitere Funktionen erweitert.
Um das Zusammenspiel zwischen den Apps zu gewährleisten, haben wir entsprechende Erweiterungen programmiert. In der faircloud haben wir bspw. GroupOffice und Nextcloud integriert und können unseren Kunden somit ein „Büro für unterwegs“ zur Verfügung stellen.
Wir haben auch ein fairlogin entwickelt, bei dem man sich nur einmal registrieren muss und dann alle Anwendungen nutzen kann. So entsteht ein zentraler Zugangspunkt für alle fairkom Apps – im Fachjargon heißt das „Single-Sign-On Identity-Management-System“.
Warum habt Ihr Eure Entscheidung so getroffen?
Wir sehen uns als Teil der Open-Source-Kultur. Es gibt sehr viele Menschen, die Anwendungen frei zur Verfügung stellen. Diese können wir überarbeiten und darauf aufbauend spezifische Features ermöglichen. Wenn es gute Konstrukte gibt, die den NutzerInnenbedürfnissen gut entsprechen, braucht man das Rad nicht neu zu erfinden.
Ebenfalls freuen wir uns darüber, zu unserer Software Feedback und Optimierungsvorschläge zu erhalten sowie weitere spannende Einsatzzwecke mitzuverfolgen. Dies ist auch ein Grund, weswegen wir all unsere Anwendungen Open Source stellen.
Freie Software ist sicherer und macht unabhängig von Anbietern. Der Code darf analysiert und von jedem angepasst werden. Und das ist auch gut so. Auch wenn wir keine Lizenzkosten verrechnen, sind nicht alle unsere Dienstleistungen gratis.
Was ist der Zweck der Plattform, die Du einsetzt?
Menschen sollen gemeinsam Projekte im Web planen und umsetzen und sich zu nachhaltigen Ideen austauschen können. Die Plattform ist über die Jahre organisch mit den Wünschen unserer Kunden gewachsen. Hierbei standen schon länger die Themen Kommunikation, Organisation und Dokumentation im Vordergrund.
In welchem Stadium befindet sich die Plattform (Idee, Prototyp, fertiges Produkt)?
Es handelt sich größtenteils um fertige Produkte oder solche, die sehr kurz vor ihrer Fertigstellung stehen. Die bereits veröffentlichten Anwendungen werden ständig weiterentwickelt. Der Prozess hängt natürlich stark von der Nachfrage und von zahlenden Kunden ab, damit wir die Umsetzung der Wünsche leisten können, die an uns herangetragen werden.
Für welche Zielgruppe ist die Plattform gedacht?
Unsere Kunden sind überwiegend NGOs im Nachhaltigkeitsbereich, Unternehmen, der öffentliche Sektor und kreative Privatpersonen. Ein besonders interessanter Kunde ist hierbei das Bundeskanzleramt Österreich, für das wir einen Messenger-Dienst zur Verbesserung der internen Kommunikation sowie mit Termino eine Doodle-Alternative entwickelt haben.
Wie erreicht Ihr Eure BenutzerInnen?
Bislang erreichen wir unsere KundInnen hauptsächlich über den persönlichen Kontakt. Anfangs haben wir als kleiner Verein zunächst die regionale Umgebung angesprochen. Wir sind mittlerweile auch auf nationalen und internationalen Veranstaltungen, Konferenzen und Netzwerktreffen vertreten.
Online beginnen wir nun, verstärkt Social-Media-Aktivitäten durchzuführen. Auf Facebook sind wir aktiv, vor allem aber auch auf Twitter. In unserem Newsletter und Blog berichten wir in unregelmäßigen Abständen über aktuelle Entwicklungen.
Wie groß ist die Community der Plattform und wie aktiv ist diese?
Das ist schwierig zu schätzen, da unterschiedliche Organisationen auf unsere Plattform zugreifen. Einige dieser Organisationen haben mehrere 100 Menschen, die unsere Tools verwenden. Seit wir vor ein paar Monaten begonnen haben unsere Anwendungen verstärkt nach außen zu kommunizieren, steigt auch täglich die Zahl der NutzerInnen – und das freut uns natürlich.
Hat die Plattform einen thematischen Schwerpunkt?
Unser Slogan ist „Wir gestalten Kommunikation. Sicher, ökologisch und fair.“ Entsprechend stehen der Nachhaltigkeitsgedanke, aber auch der Datenschutz immer im Vordergrund. Technisch leisten wir in den Bereichen Kommunikation, Verwaltung und Prozessanwendungen Unterstützung.
Was sind die Kernfunktionen der Plattform?
Die Plattform bietet mehrere Anwendungen, die miteinander verknüpft sind:
- fairlogin – ein Login für alle Anwendungen, das sich auch auf anderen Internetseiten verwenden lässt (ähnlich wie „Login mit Facebook“)
- fairchat – ein fairer und nachhaltiger Messenger-Dienst, der sich ähnlich wie WhatsApp, Slack und Co. einsetzen lässt. Der Messenger unterstützt alle Geräte und ermöglicht unter anderem geheime Chats und Sofort-Übersetzungen. Natürlich werden keine User-Daten weitergegeben.
- fairmeeting – Online-Videokonferenztool
- Nextcloud – ein sicherer Datenspeicher mit unterschiedlichen Büro-Apps als Alternative zu Dropbox und Co.
- fairapps+ aka Sandstorm – eine Plattform mit einer Vielzahl unterschiedlicher Web-Apps für kreatives Arbeiten
- GroupOffice – eine Groupware mit E-Mail-Integration, Kalender und Adressbuch, die sich mit Mobilgeräten synchronisieren lassen
- board.net – gleichzeitige Dokumenterstellung und -bearbeitung mit mehreren Menschen
- GitLab – ein Tool um agile Projekte umzusetzen
Was ist das Alleinstellungsmerkmal der Plattform?
Alle Anwendungen werden fair und nachhaltig produziert, gewartet und gehostet. Das ist in der gegenwärtigen virtuellen Welt ein Alleinstellungsmerkmal. Nachhaltigkeit hat sich bisher eher im „Real Life“ abgespielt – wir übertragen die Prinzipien in die Online-Welt.
Gibt es ähnliche Plattformlösungen / Mitbewerber?
IT-Anbieter mit dem gleichen Tätigkeitsfeld wie fairkom sind uns nicht bekannt. Es gibt für einzelne Anwendungen sicherlich Anbieter, also grüne Hoster, E-Mail-Anbieter oder Cloud-Anbieter. Den Ansatz, ein flexibles Toolkit bzw. eine nachhaltige IT-Infrastruktur zur Verfügung zu stellen, verfolgt aber bislang keiner.
Wie ist der technische Aufbau der Plattform?
Das fairapps-Dashboard ist eine Individualanwendung auf AngularJS. Die anderen Anwendungen sind bestehende Open-Source-Lösungen bzw. Erweiterungen:
- fairlogin ist auf Basis von OpenLDAP und OpenID Connect umgesetzt
- Dovecot wird als Mailserver verwendet
- fairchat ist eine Erweiterung von Rocket.Chat, einem in JavaScript geschriebenen Web Chat Server, der das Meteor Framework verwendet
- für Video-Chats nutzen wir die „Jitsi meet“ Anwendung
- Group-Office, Nextcloud und DokuWiki sind in PHP geschrieben und lassen sich auf dem gängigen LAMP-Stack installieren
- board.net verwendet Etherpad, das ist in JavaScript geschrieben
Vereinfacht gesagt, haben wir eine Reihe von funktionalen Anwendungen herausgesucht, die sich gut in unser fairlogin-Ökosystem integrieren lassen.
Ist die Plattform eine Open-Source-Lösung?
Ja, alle Quellcodes lassen sich auf unserem GitLab-Server einsehen und mitentwickeln.
Hat die Plattform Schnittstellen?
fairlogin als universeller Anmeldedienst ist sicherlich die wichtigste Schnittstelle. Die von uns eingesetzten Anwendungen haben auch Schnittstellen, bspw. um Kalender, Adressbücher und Dateien zu synchronisieren (CalDAV, CardDAV, WebDAV). Auf Anfrage föderieren wir fairlogin gerne auch mit weiteren Anwendungen.
Wie ist das Geschäftsmodell der Plattform?
Wir arbeiten nach dem Fair-Use-Prinzip. Viele unserer Anwendungen sind für private Personen und finanzschwache Organisationen gratis. Sobald die Nutzung aber über den Normalgebrauch hinausgeht, mehr Speicherplatz oder ein erweitertes Anwendungs-Portfolio benötigt wird, ist dieses kostenpflichtig. Dafür gibt es mit fairapps Basic oder Pro verschiedene Service-Pakete für EndnutzerInnen. Für Organisationen und Unternehmen bieten wir alle unsere Applikationen auch „White Label“ – als eigene Instanzen – an und können diese auch an die individuellen Bedürfnisse des Kunden anpassen und weiter entwickeln.
Bei der Erwirtschaftung von Überschüssen investieren wir diese wieder in die Weiterentwicklung von Software-Projekten, unterstützen aber auch nachhaltige Projekte in den Bereichen „Commons“, „Social Design“ und weiteren gemeinnützigen Aktivitäten. Wir sind u.a. beim Linuxday und bei der madiana Konferenz als Sponsor aufgetreten.
Was ist die Historie der Plattform?
fairkoms Wurzeln reichen zurück bis ins Jahr 1995. Damals wurde das PUBLIC VOICE Labor in Wien gegründet und hat dort Telefondienste für die lokale Bürgerbeteiligung angeboten. Über die Jahre sind verschiedene andere Themenfelder dazugekommen, z.B. das Verlegen von Büchern, Informatik- und Kommunikationslösungen, Regionalwährungen, Crowdfunding usw. Einige Resultate unserer Arbeit sind die Marke osAlliance und die ALLMENDA eG.
Die Geschäftsfelder Cloud und Informatik haben wir 2015 wieder in eine eigene Körperschaft überführt, die zunächst PUBLIC VOICE Lab Verein hieß und seit 2016 „fairkom“ genannt wird.
Wer steht hinter der Plattform?
Das fairkom-Team besteht aus etwa 10-15 FreelancerInnen und zwei fest angestellten Personen – einem Screendesigner und mir. Meine Aufgabe ist die Kommunikation und die Koordinierung von Anfragen und Projekten.
Wo ist die Geschäftsstelle der Plattform?
Unser Büro ist in Dornbirn, Voralberg (Österreich), am Nordrand der Alpen am Bodensee. Die an den Projekten beteiligten ProgrammiererInnen sitzen aber verstreut in Österreich und Deutschland.
Welche Rechtsform habt Ihr?
fairkom ist ein gemeinwohlorientierter Verein, quasi eine „Genossenschaft light“.
Wünscht Ihr Euch Unterstützung?
Ja, und zwar Menschen und ProgrammiererInnen, die Interesse haben, mitzuarbeiten oder die Anwendungen weiterzuentwickeln. Das können Interessierte im Sinne der Open Source Kultur direkt tun, denn unsere Quellcodes sind offen und über GitLab bearbeitbar.
Ebenso sind wir natürlich froh über alle Personen, die unsere IT-Angebote für eine faire und nachhaltige Kommunikation nutzen und weiter verbreiten.
Kooperiert Ihr mit weiteren Partnern?
Da wir bestehende Open-Source-Anwendungen verwenden, befinden wir uns im regen Austausch mit den EntwicklerInnen von bspw. Rocket.Chat. Seit einige Wochen sind wir offizieller „Value Added Partner„.
Wir haben durch gemeinsame Projekte eine gute Vernetzung mit anderen EntwicklerInnen aus der Open-Source oder Nachhaltigkeits-Szene.
Und natürlich gibt es immer wieder Organisationen, die auf uns zukommen und ihre Wünsche und Möglichkeiten der Zusammenarbeit äußern.
Was sind die nächsten Schritte für die Plattform?
Wir arbeiten derzeit daran, weitere Anwendungen über unsere fairapps Plattform anzubieten, wie u.a. das Projektmanagement Tool OpenProject, die web-basierte Office Anwendung Onlyoffice oder die Möglichkeit, große Daten verschlüsselt zu versenden. Unser Vorhaben wollen wir mit Crowdfunding finanzieren.
Darüber hinaus werden wir bestehende Anwendungen weiter optimieren.
Was ist Dein Fazit zu Eurer Plattform?
Innerhalb relativ kurzer Zeit ist es uns gelungen, mit unterschiedlichen Partnern zahlreiche Projekt zu planen und umzusetzen. Dabei sind einige Anwendungen zusammengekommen, die wir gerne mit der Welt teilen.
Mit unserem Angebot bieten wir die Möglichkeit, die Themen Nachhaltigkeit, Fairness und Sicherheit in die virtuelle Welt zu bringen und dort zu etablieren.
Wir freuen uns darüber, auch an größeren Projekten beteiligt zu sein. Hier wäre zum einen FairCoin zu nennen – die erste ressourcenschonenede demokratische Kryptowährung, die in der realen Wirtschaft eingesetzt wird. Damit zusammenhängend ist auch das alternative Wirtschaftssystem FairCoop.
Uns sind Kooperationen wichtig – wir stellen uns gegen das vorherrschende Konkurrenzdenken. Denn nur über das Gemeinsame und Miteinander ist die Entwicklung zu einer nachhaltigen Welt überhaupt möglich.
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