Markus Sauerhammer – so gelingt der Transfer unserer Werte der Sozialen Marktwirtschaft ins digitale Zeitalter

Social Entrepreneurship: einen positiven Wandel in der Gesellschaft bewirken und dabei ökonomisch nachhaltig sein. Dieser vielversprechende Ansatz könnte in Deutschland viel verbreiteter sein, doch der Staat schöpft nicht all seine Möglichkeiten aus. SEND e.V. führt Dialog mit der Politik, vermittelt Informationen, baut Brücken zwischen relevanten Akteuren und arbeitet so an einer Verbesserung der Rahmenbedingungen für das soziale Unternehmertum.

Markus Sauerhammer, gebürtig aus Franken, ist gelernter Landwirt, Gründer, Gründungs- und Innovationsberater. Das Wechselspiel zwischen landwirtschaftlichem Strukturwandel und agiler Startup-Welt brachte ihn zum Umdenken – so wurde das Brückenbauen unterschiedlicher Akteure für die Gestaltung einer enkeltauglichen Zukunft zu seinem Kernthema. Er war Gründungsberater bei der IHK, anschließend hat er die Kooperationen bei Startnext verantwortet und ist heute Vorstand des durch ihn mitgegründeten Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland e.V. (SEND). Die Beseitigung von politischen Hindernissen für soziale und gesellschaftliche Innovationen gehört zu seinen Schwerpunkten.

Die Gestaltung der Digitalisierung wird bislang von großen Monopolen bestimmt. Siehst Du das auch so und wenn ja, wie würdest Du es anders machen?

Mich begeistern die Potenziale der digitalen Transformation für die Gesellschaft und die Schaffenskraft leidenschaftlicher Entrepreneure. So war ich sehr lange in der klassischen Startup-Welt unterwegs. Mit der Zeit sind mir darin allerdings mehrere Schwierigkeiten bewusst geworden.

Um es greifbar zu machen: Gründet man in Deutschland eine Plattform für die Vermittlung von Pflegekräften, so erhält man über den klassischen Venture-Capital-Ansatz:

  • Unterstützung durch kostenlose Beratungsangebote von der öffentlichen Hand,
  • als Investor über das Programm „INVEST – Zuschuss für Wagniskapital“ 20% erstattet
  • und mit dem High-Tech Gründerfonds Zugriff auf einen öffentlichen Fonds, der das Investment anderer Investoren aufstockt.

Gründe ich die identische Plattform mit einem gemeinwohlorientierten Ansatz als Verein, gemeinnütziges Unternehmen oder Genossenschaft, so gibt es keine praktikablen Instrumente der öffentlichen Hand – selbst wenn diese Plattformen ein identisches Geschäftsmodell verfolgen

Die aktuelle Innovationsstrategie widerspricht klar unseren Werten einer sozialen Marktwirtschaft!

Es gibt aber auch eine immer stärker werdende Bewegung für alternative Plattformlösungen. Die bekannteste ist sicherlich Wikipedia. Hier steht der Mehrwert für die Allgemeinheit im Mittelpunkt. Ähnliche Ansätze gewinnen gerade stark an Zulauf – egal ob über die Platform Coop Bewegung oder die Initiative von „Sich selbst gehörenden Unternehmen“ der Purpose Stiftung. In ein solches Unternehmen hat sich übrigens kürzlich die Suchmaschine ecosia umgewandelt.

Wie würde ich es anders machen? Ich würde am Risikokapital ansetzen – das muss nicht nur von Investoren kommen, die in erster Linie an Gewinnen interessiert sind, sondern:

  • Der seit ca. 200 Jahren existierende Genossenschaftgedanke entstand als sozialunternehmerische Antwort auf die Herausforderungen der industriellen Revolution – dies kann ein Lösungsbaustein sein. Damals wie heute brauchen wir Chancenkapital, das die Zukunft gestaltet.
  • Auch Crowdfunding ermöglicht dies.
  • Zudem gibt es immer mehr Impact Investoren – Anleger, denen die gesellschaftliche Rendite wichtiger ist als ein einseitiger Fokus auf die finanzielle Rendite. Ähnlich wie bei Crowdfunding werden diese Investoren bislang von den Förderinstrumenten der öffentlichen Hand zum größten Teil ausgeschlossen!

Zugegebenermaßen haben es „neue“ Ideen immer schwer und man wird für einen Spinner gehalten. Allmählich rücken solche Konzepte aber nach und nach in die gesellschaftliche Mitte. 

Woran arbeitest Du gerade im Bereich der Digitalisierung?

Meine Wurzeln habe ich in der klassischen Gründer- und Startup-Szene, wo ich unterschiedliche Unterstützungsprogramme aufgebaut habe. Bei Startnext habe ich an der Demokratisierung der Finanzierung neuer Ideen mitgearbeitet.

Logo des (c) Social Entrepreneurship Netzwerks Deutschland

Aktuell bin ich im Vorstand des SEND e.V. (Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland) und wirke dort auf der Metaebene, indem ich an systemischen Lösungen arbeite. Mein Hauptanliegen ist es, dass Startups mit einer Gemeinwohlorientierung von der öffentlichen Hand zumindest genauso gefördert werden sollten wie die klassischen Akteure – mit dem Ziel, dass bei der Zukunftsgestaltung ein klarer gesellschaftlicher Mehrwert entsteht, im Kern also ein Transfer unserer Werte der Sozialen Marktwirtschaft ins digitale Zeitalter. Wir arbeiten auf unterschiedlichen Ebenen für eine Verbesserung der Rahmenbedingungen von Social Entrepreneurs. Durch unsere Aktivitäten stärken wir den Sektor als Ganzes. Dabei kommen dann Aktivitäten heraus, wie z.B. eine Öffnung der Finanzierungsprogramme bei der Förderbank des Landes Berlin oder die Verankerung einer besseren Unterstützung von Social Entrepreneurship im Koalitionsvertrag:

„Social Entrepreneurship spielt bei der Lösung aktueller gesellschaftlicher und sozialer Herausforderungen eine zunehmend wichtige Rolle. Social Entrepreneurship wollen wir noch stärker als bisher fördern und unterstützen.“

Wichtig sind uns auch die Vernetzung der Akteure untereinander sowie die Förderung gemeinsamer Projekte. Und wir führen Dialoge mit Politik, Wirtschaft und Wohlfahrt. Wie viel Arbeit noch vor uns liegt, zeigen die Ergebnisse des 1. Deutschen Social Entrepreneurship Monitors deutlich auf. 

Welche Potenziale siehst Du in der Digitalisierung für die Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen?

Wir möchten Digitalisierung als Instrument nutzen, damit die Gesellschaft als Ganzes vom Fortschritt profitiert. Dies ist eigentlich eines der Kernversprechen unserer Sozialen Marktwirtschaft, allerdings ist die Innovationspolitik unserer Regierung davon in der praktischen Umsetzung weit entfernt. In unserer Arbeit spüren wir aber immer wieder, dass dies kein vorsätzliches Vorgehen ist, sondern in vielen Teilen ein Informationsdefizit bei vielen Entscheidungsträgern.

Es wird zwar an vielen Stellen betont, dass man die Digitalisierung im Sinne des Gemeinwohls einsetzen möchte, jedoch sind die politischen Rahmenbedingungen für die Gestaltung der praktischen Umsetzung weit entfernt. Deutlich machen dies die Ergebnisse der Studie „The best Country to be a Social Entrepreneur„, bei der Deutschland unter den 45 wirtschaftlich stärksten Nationen insgesamt auf Platz 12 – im oberen Mittelfeld – landet. In der Kategorie „politische Unterstützung“ liegen wir aber nur noch auf Platz 34 – zwischen Griechenland und Mexiko. Als Gestalter einer Sozialen Marktwirtschaft sollte hier ein anderer Anspruch bestehen. Kurzum – wir sind „gut“ dabei, aber die Politik zieht nicht mit. Nichts könnte besser verdeutlichen, wie weit die aktuelle Innovationspolitik sich von unseren gewachsenen Werten entfernt hat.

Screenshot der Internetseite poll2016.trust.org – einer Studie zu den besten Ländern für Sozialunternehmer

Im Koalitionsvertrag wurden Social Entrepreneurship und Soziale Innovationen zwar mehrfach aufgenommen, mit der Umsetzung wurde allerdings noch nicht mit dem nötigen Nachdruck begonnen.
Im Gegensatz dazu hat Emmanuel Macron in Frankreich das Thema „Tech4Good“ zur Chefsache erklärt. Dort wurde auch ein Fonds für soziale Innovation über 1 Milliarde Euro aufgesetzt. Zudem arbeiten Parlamentarier dort als Mentoren mit den Social Entrepreneurs an der Weiterentwicklung ihrer Sozialen Innovationen und es gibt ein eigenes
Ministère de la Transition écologique et solidaire.

So geht Zukunftspolitik im Sinne der Bürger und zukünftiger Generationen!

Digitalisierung betrifft alle. Siehst Du die Notwendigkeit, dass sich jeder mit dem Thema auseinandersetzen muss? Stichwort: Technologie-SkeptikerInnen, alte Menschen, SelbstversorgerInnen usw.

Ja, bitte setzt Euch mit dem Thema auseinander!

Das Thema ist Treiber des aktuellen Transformationsprozesses und damit die Basis für viele Themen, die die Zukunft unserer Kinder und Enkel maßgeblich beeinflussen werden. Aktuell stehen bei der Digital- und Zukunftspolitik kurzfristige Renditeinteressen vor dem langfristigen gesellschaftlichen Nutzen. Es müssen sich viel mehr Menschen aus der Mitte der Zivilgesellschaft gestalterisch einbringen. Dies kann ich aber nur, wenn ich mich selbst damit auseinandersetze.

Hier lohnt sich ein Blick in die großen Umbruchphasen der Vergangenheit. Wenn wir uns den Buchdruck, die damit einhergehende Reformation und den darauf folgenden 30-jährigen Krieg ansehen, so war dies in erster Linie eine Auseinandersetzung progressiver Zukunftsgestalter (er wollte ja keinen Bruch der Kirche, sondern eine Reformation) und Besitzstandswahrer. Ähnlich war es bei der industriellen Revolution, wo die Ludditen („Maschinenstürmer“) durch das Land zogen und die Fabriken aufgrund mangelnder Zukunftsperspektiven niederbrannten. Auch heute erleben wir ein ähnliches Aufbegehren von Fortschrittsverlierern. In Deutschland gibt es hier zwischenzeitlich eine Partei und in anderen Ländern stellen diese bereits den Präsidenten.

Wenn wir nicht gemeinsam darauf hinarbeiten, dass die Gesellschaft als Ganzes von dem aktuellen Transformationsprozess profitiert, wird sich das Rad der Geschichte erneut in die gleiche Richtung drehen.

Mit welchen Organisationen und Partnern seid Ihr derzeit aktiv?

SEND e.V. ist ein Netzwerk, das von Partnerschaften lebt. Wir bauen Brücken zwischen Social Startups und Akteuren aus Politik, Wirtschaft und Wohlfahrt. Die aktuellen und vor uns liegenden Herausforderungen können wir auch nur gemeinsam lösen!

Den Ausgangspunkt, dass die Politik zu wenig in Deutschland macht, haben viele lange kritisiert, sind aber nicht aktiv den Dialog gegangen. Die bislang vertanen Chancen zeigen auch die Ergebnisse des 1. Deutschen Social Entrepreneurship Monitors deutlich auf: Die Politik erhält die Note 4,6 und als größte Herausforderung des Sektors wird eine schwache Lobby gesehen. Wenn ich mir anschaue, was wir in der kurzen Zeit mit unseren knappen Ressourcen bewirken konnten, hier noch mal ein klarer Appell, sich mehr in den politischen Dialog und unsere Arbeit einzubringen. Hier liegt viel Potenzial brach!

Deutscher Social Entrepreneurship Monitor 2018 – eine Publikation von (c) SEND e.V.

Viele unserer Mitglieder sind selbst Multiplikatoren oder auf Metaebene aktiv, wie z.B. Social Impact, Ashoka, Impact Hub, Social Entrepreneurship Akademie oder ProjectTogether. Auch bei den Akteuren des Sektors ist das Thema Kooperation und Zusammenarbeit wichtig, wie die Ergebnisse des 1. Deutschen Social Entrepreneurship Monitors zeigen.

Auch externe Partner spielen eine wichtige Rolle: der Berliner Senat, Akteure der Wohlfahrt und Wirtschaft oder das RKW Kompetenzzentrum als Akteur hinter der Gründerwoche, die dieses Mal unter dem Schwerpunkt Social Startups stand. Zudem haben wir während der Aufbauarbeit von unterschiedlichsten Akteuren tolle Unterstützung erfahren. Uns haben über 300 Menschen über das Crowdfunding unterstützt oder die BMW-Foundation als erster institutioneller Förderpartner. SAP hat uns jetzt bei der Finanzierung des Monitors unterstützt. Ich könnte lange weitermachen. #GemeinsamWirken ist fester Bestandteil unserer DNA!

Digitalisierung durch die Zivilgesellschaft. Ohne Einbindung des Staates und des Marktes. Funktioniert das?

Ich glaube alles ist im Wechselspiel miteinander verbunden. Wenn wir nur einen Baustein losgelöst sehen, kann das in meinen Augen nicht nachhaltig funktionieren. Die Digitalisierung sorgt auch dafür, dass die klaren Grenzen zwischen den Bereichen zusehends verschwimmen.

Social Entrepreneurship vereint z.B. unternehmerische und gemeinwohlorientierte Ansätze. Dabei entstehen komplett neue Lösungen, die oft in keine der klassischen Schubladen passen. Auch die Rolle des Staates ist in diesem Kontext ein Stück weit neu zu erfinden. Bislang greift man bei der Lösung unserer gesellschaftlichen Herausforderungen noch immer viel zu stark auf den klassischen Instrumentenkasten zurück. Hier sollten die eigenen Innovationsprozesse noch mehr für Akteure der Zivilgesellschaft geöffnet werden. Wir werden die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nicht alleine mit den Instrumenten des 20. oder gar 19. Jahrhunderts lösen. Hier ist ein radikales Umdenken nötig.

Die GründerInnen vom SEND e.V. vor dem Deutschen Bundestag – (c) SEND e.V.

Wo siehst Du die Zukunft der Zivilgesellschaft?

Hier beobachte ich gerade zwei entgegengesetzte Bewegungen. Während die einen vor der Komplexität der vor uns liegenden Herausforderungen am liebsten in ein „zurück in alte Zeiten“ flüchten wollen, gibt es immer mehr Akteure, die die Gestaltung einer enkeltauglichen Zukunft in die Hand nehmen, egal ob über Initiativen wie Mein Grundeinkommen, die dieses Instrument testen und erfassen, was ein Bedingungsloses Grundeinkommen für einen Einfluss auf Menschen hat, oder das OuiShare Fest im Sommer letzten Jahres, bei dem Ansätze einer globalen Demokratie diskutiert und zukunftsweisende Ansätze aufgezeigt wurden.

Wichtig ist, dass wir noch nicht wissen, wohin die Reise geht. Wir sind die erste Generation, die die Digitalisierung gestaltet, die erste Generation, die die enormen Potenziale für eine bessere Zukunft einsetzen kann. Gleichzeitig sind wir die letzte Generation, die etwas gegen den Klimawandel tun kann. Potenziale und Risiken liegen nah beieinander. Heben können wir die Potenziale aber nur, wenn wir gemeinsam entschlossen handeln. Wir müssen uns als Gesellschaft an jeder Stelle fragen, ob wir Teil des Problems oder Teil der Lösung sind.

Je tiefer ich in die politischen Strukturen eintauche, desto mehr wird mir bewusst, dass die Lösungen nicht von der Politik allein kommen. Hier sind wir als Zivilgesellschaft in der Pflicht zu handeln! Wer zu dieser Zeit in einer Passivität hängen bleibt, schadet damit dem Wohl zukünftiger Generationen und somit auch den eigenen Kindern und Enkeln. Es liegt an uns, was wir daraus machen.

Noch ein klarer Appell an die Politik: Hört auf, für die Lösung unserer Herausforderungen immer nur die Leute zu fragen, die uns die Probleme eingebrockt haben. Mit Sicherheit ist dieser Weg bequemer, da man die gleiche Sprache spricht und sich auch schnell auf einen Konsens einigt. Solange Ihr aber Eure Expertengremien und Beiräte immer mit den gleichen Akteuren besetzt, werden wir auch keine Lösungen entwickeln, die die Potenziale des aktuellen Veränderungsprozesses aufgreifen.

Und wichtig ist auch, dass wir uns als Zivilgesellschaft international besser vernetzen. Klimawandel, Migration oder globale Ungerechtigkeit sind Herausforderungen, die an den Landesgrenzen nicht aufhören.

Welche Art von Plattformlösungen wird die Zivilgesellschaft brauchen, um sich zu organisieren?

Ich sehe großes Potenzial in Crowdfunding- und Crowdsourcing-Plattformen. Hier ein paar schöne Beispiele:

  • Betterplace – Crowdfunding für gemeinnützige Organisationen
  • Startnext – Crowdfunding allgemein
  • Youvo – Engagement-Plattform für Kreative
  • Vostel – Engagement-Plattform mit Herz

Bei dem Crowd-Prinzip geht es darum, auf gemeinsame Ziele hinzuarbeiten, egal ob über das Einbringen von eigener Arbeitsleistung oder durch finanzielle Unterstützung. Jeder kann Teil guter Projekte werden und sich in Abhängigkeit der eigenen Ressourcen in die Entfaltung dieser Projekte einbringen. Zudem sind die Prozesse offen und partizipativ.

Die Plattformökonomie der Zukunft hat aus meiner Sicht folgende Eigenschaften:

  • die Gemeinwohl-/Nutzerorientierung steht im Vordergrund und ist fest in der DNA der Plattform verankert,
  • die Partizipation der Nutzer ist gewährleistet, ohne die Innovationsfähigkeit zu stark einzuschränken,
  • Plattformen, die eine öffentliche Förderung erhalten, sind Open-Source-Lösungen,
  • ein globales Ökosystems gemeinwohlorientierter Plattformen mit offenen Schnittstellen wird aufgebaut.

Welche Rolle spielen dann noch Staat und Markt?

Auch hier lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit. Die industrielle Revolution hat zu Beginn vor allem das Kapital gestaltet. Als Antwort auf die Herausforderungen vom Manchesterkapitalismus haben Politik und Zivilgesellschaft viele soziale/gesellschaftliche Innovationen entwickelt, die unsere Werte einer Sozialen Marktwirtschaft mit Leben gefüllt haben. Egal ob Krankenversicherung, Unfallversicherung, Rentenversicherung, Gewerkschaften oder Genossenschaften – es sind alles Errungenschaften dieser Zeit. Hier habe ich keine abschließende Antwort. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass wir hier wieder mehr Experimentierfreude benötigen.

Wie sich im Thesen-Papier des progressiven Zentrums lesen lässt, wird die digitale Transformation nicht nur Wirtschaft und Zivilgesellschaft ändern, sondern auch die Politik.
Einige Entwicklungen haben wir hierbei bereits in Deutschland gesehen – sei es die Gründung der Piratenpartei oder die Einführung kollaborativer Prozesse bei der SPD. Die Parteien sind auf der Suche, wie sie sich zukunftsorientiert aufstellen, und es gibt einen Trend zu mehr Dezentralisierung.

Thesenpapie des Progressiven Zentrums – „Inklusives Wachstum!“

Wenn man den Medien folgt, gewinnt man den Eindruck Künstliche Intelligenz, Internet der Dinge, Blockchain und Open Data seien die größten Herausforderungen der Digitalisierung. Stimmt das?

Ich finde es schwierig, hier die einzelnen Themen zu diskutieren. Wir vergessen zu oft, dass Digitalisierung in erster Linie ein Instrument der Zukunftsgestaltung ist. Wir sollten eher die Frage in den Vordergrund stellen, wohin wollen wir uns als Gesellschaft entwickeln? Welche Ziele wollen wir damit erreichen? Digitalisierung ist ja kein Selbstzweck, sondern sollte einem gesamtgesellschaftlichen Fortschritt dienen. In meinen Augen ist einer der wichtigsten Schlüsselfaktoren Bildung! 

Wichtig ist mir, dass wir Ermöglichungsräume schaffen und mit Entdeckergeist und Spaß an das Thema gehen. Aktuell herrscht bei uns ja eher eine Digitalphobie und die werden wir nur los, wenn wir uns radikal auf die Mehrwerte für die Menschen fokussieren.

Welche alternativen Lösungsansätze erscheinen Dir derzeit am vielversprechendsten?

Social Entrepreneurship ist für mich einer der spannendsten Ansätze. Ich war mehrere Jahre in der klassischen Startup-Welt unterwegs und habe gesehen, wie ganze Branchen auf den Kopf gestellt wurden. Social Entrepreneurs nutzen ähnliche Instrumente, aber immer mit einer Fokussierung auf die Lösung unserer gesellschaftlichen Herausforderungen. Der Sektor hat noch viel Entwicklungspotenzial, wird bei uns aber aktuell von Seiten der Politik noch nicht mit dem nötigen Nachdruck bei der Gestaltung besserer Rahmenbedingungen unterstützt.

In jedem Fall begrüße ich den Weg des Innovierens. Für mich heißt das, sich auf den Weg zu machen, mit der Veränderung auseinanderzusetzen, Probleme als Herausforderungen zu begreifen und dann nach besseren Lösungsansätzen zu suchen, sie auszuprobieren und zu experimentieren, immer wieder das Erreichte in Frage zu stellen und nach der positiven Wirkung zu fragen. Wir sind mit der Digitalisierung in ein Zeitalter des permanenten Wandels eingetreten. Ich glaube, wir sind am Anfang einer der spannendsten Epochen der Menschheit. Es ist Zeit, diese mit dem nötigen Nachdruck zu gestalten.

Welche alternativen Lösungsansätze sind in Deinen Augen Irrwege?

Der eindeutig falsche Weg ist: „Wir gehen einfach wieder zurück, wie es früher war“. Wir sehen gerade auf der ganzen Welt Parteien und Politiker, die diesen vermeintlich „einfachen Weg“ als Lösung verkaufen. Und leider erfahren sie auch von vielen Menschen Zuspruch – gerade von den Fortschrittsverlierern.

Umso wichtiger ist es, die Fragen unserer gesellschaftlichen Herausforderungen in das Zentrum des politischen Handelns stellen. Wenn sich die Trump-Brexit-Orban-Spirale weiterdreht, werden wir eines Tages in einer Welt nationaler und totalitärer Überwachungsstaaten aufwachen. Dies wird keine der großen Herausforderungen unserer Zeit lösen und führt somit zu dem altbekannten Spiel, die Schuldigen in anderen Ländern zu suchen. Dann könnten die friedlichen Zeiten in Europa auch schnell wieder vorbei sein. In dem Zusammenhang finde ich den Offenen Brief des US-Miliardärs Nick Hanauer an seine reichen Freunde sehr inspirierend.

Digitalisierung ist das eine. Welche Lösungen brauchen wir noch für eine zukunftsfähige Gesellschaft?

Das Miteinander steht klar im Vordergrund. Insbesondere Empathie ist dafür essenziell. Es geht nicht darum, nur für sich selbst das Beste rauszuholen und ein „America first“-Denken zu kultivieren, sondern sich in andere hineinzuversetzen und zu verstehen, warum Menschen so handeln wie sie es tun.

Nur durch ein Miteinander entstehen gesamtgesellschaftlich gute Lösungen.

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