Trebor Scholz – „Wovon sollen Open-Source-ProgrammiererInnen eigentlich leben?“

In den 2000er-Jahren haben viele Menschen Hoffnungen in eine Sharing-Ökonomie gelegt. Mittlerweile gehören die meistgenutzten Plattformen allerdings kapitalistischen Unternehmen. Was es nun braucht: funktionierende alternative Geschäftmodelle. Trebor Scholz stellt mit „Platform Coops“ so ein mögliches Modell vor, das den IT-Giganten in naher Zukunft vielleicht die Stirn bieten könnte. Ein weiterer Grund – mit dieser Form des Wirtschaftens werden gleichzeitig faire und demokratische Arbeitsverhältnisse gesichert.

Wir bedanken uns sehr herzlich für dieses Interview mit Trebor Scholz im Februar 2019.

Trebor Scholz ist Medien-Professor an der „The New School“ Universität in New York City und gilt als Begründer der Platform-Coops-Bewegung
  • Seine Motivation: eine positive Alternative zu den fragwürdigen Entwicklungen von Silicon Valley und Co. zu schaffen.
  • Seine Kritik: die sog. „Sharing Economy“ wird aufgrund der bestehenden Marktlogik nach und nach monopolosiert und durch kapitalhungrige Investoren betrieben. Der Gedanke des Teilens rückt zunehmend in den Hintergrund, insbesondere Arbeitsverhältnisse haben darunter zu leiden.
  • Seine Vision: gemeinschaftlichen Besitz und demokratische Organisationsstrukturen zum Mainstream entwickeln und das genossenschaftliche Modell ins Internet übertragen

Die Gestaltung der Digitalisierung wird bislang von großen Monopolen bestimmt. Siehst Du das auch so und wenn ja, wie würdest Du es anders machen?

Ja, da würde ich Euch mit Sicherheit zustimmen. Die Vision des Internets war die ersten 20 Jahre lang eine ganz andere als die, die wir jetzt vorfinden. Damals ging es noch nicht um Kommunikation. Ende der 1980er-Jahren hat Tim Berners-Lee das World Wide Web mit Robert Cailliau erfunden und die beiden hatten auch eine andere Vision als jetzt. Sie haben nicht erwartet, dass es 30 Jahre später 5 IT-Giganten gibt, die das Internet dominieren und riesige Mengen von Daten anderer Menschen besitzen. Mit so einer Konzentration von Plattform-Macht ergibt sich eine Asymmetrie zwischen den Internet-BenutzerInnen auf der einen Seite und den riesigen Firmen auf der anderen Seite. Es ermöglicht den Firmen, Daten ihrer NutzerInnen abzugreifen und zu monetarisieren, oftmals ohne dabei Steuern zu zahlen. Und es gibt starke Bedenken hinsichtlich Privatsphäre und Datenschutz. Dazu gibt es einiges an Literatur und es wird sicherlich keinen überraschen, wenn ich das hier sage.

Obwohl es eine Unmenge an Literatur und Wissen dazu gibt, ist die Menge an ernsthaften Alternativen zu diesem kommerziellen Plattform-Modell erschreckend gering. In den USA gibt es immer Forderungen, den Markt zu regulieren – also Google, Facebook, Apple usw. das Sammeln von Daten zu erschweren oder diese Giganten abzubrechen („anti-trust legislation“). Oder in Deutschland wurde gefordert, dass nur eine bestimmte Anzahl an Daten der Facebook-BenutzerInnen gespeichert werden darf.

Momentan, im amerikanischen Kontext habe ich keinerlei Hoffnungen, dass die Trump-Administation positiv intervenieren wird. Die Privatsphäre der NutzerInnen zu respektieren, widerspricht z.B. zutiefst dem Geschäftsmodell von Google. Das in einer behutsamen Art zu regulieren, wird daher niemals funktionieren. Die amerikanische Regierung greift die Rechte der ArbeitnehmerInnen sogar an. Letzte Woche (Stand 12.02.2019) hat es die Regierung den Unternehmen erleichtert, Angestellte als Freiberufler einzustufen, um somit Versicherungen und Arbeitnehmerrechte zu umgehen. In den USA können wir daher nicht auf eine Unterstützung durch die Regierung bauen.

Im europäischen Kontext ist es zum Glück weitestgehend anders, weil die Regierungen die Rolle übernehmen, sich für die Bevölkerung einzusetzen. Mit den Regierungen zu sprechen, insbesondere der Bundesregierung in Deutschland, ergibt in Europa sehr viel Sinn. In den USA funktioniert das zur Zeit nicht, Ausnahme sind hierbei vereinzelte Städte und Bundesstaaten wie etwa New York.

Insofern denke ich, dass man nach ökonomischen Alternativen suchen muss. Über die Kritik hinauszugehen und Projekte vorzuschlagen, die in naher Zukunft realisiert werden können.

Einige unserer Interview-PartnerInnen setzen ihren Fokus stark auf Lösungen des Teilens und des gemeinsamen Besitzens (Sharing Economy) – was ist daran problematisch?

Wichtig ist die Frage, wer sich diese Geschäftsmodelle ursprünglich initiiert hat, von denen Plattformen wie Uber, AirBnB und Co. nun profitieren. Vor diesen neuen Platzhirschen gab es Unternehmen wie Couchsurfing und BlaBlaCar, die erstmals solche Modelle des nicht-eigennützigen Teilens salonfähig gemacht haben. (Heutzutage ist BlaBlaCar kommerziell geworden, aber in seinen Ursprüngen war es dies nicht.)

Erst im nächsten Schritt kamen Unternehmen wie Uber, AirBnB usw. auf die Idee, dieses Modell des Teilens mithilfe von Risikokapitalgebern zu skalieren. Und sie nahmen dabei prekäre Arbeitsbedingungen in Kauf, die höchst hinterfragenswert sind. Es ist also wichtig zu fragen, wer zuerst „innoviert“ hat.

Sharing-Ökonomie und die Commons im Speziellen sind essenziell als Antwort auf aktuelle Fragen, insbesondere der Zentralisierung des Internets, die Ihr erwähntet. Wenn Communities Daten untereinander austauschen möchten, dann geht das auch mit „Data Commons“ und muss nicht über kommerzielle Dienste laufen.

Dieser Ansatz hat allerdings Grenzen. Bislang ist es Menschen kaum möglich, mithilfe von Commons ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Zwar gibt es zwei, drei Beispiele, die ich allerdings nicht sonderlich überzeugend finde. Es wird definitiv eine große Herausforderung sein, Geschäftsmodelle zu entwickeln, die auf Commons aufbauen und zu den Commons beitragen.

Buch „Ours to hack and to own“ von Trebor Scholz und Nathan Schneider – (c) orbooks.com

Technologie-Optimisten wie Jeremy Rifkin sagen eine Null-Grenzkosten-Gesellschaft voraus, in der sich alles mit überlappenden Commons organisieren lässt. Wie stehst Du dazu?

Als Wikipedia so fantastisch funktionierte, glaubte man, es wäre nur ein Beispiel von vielen und dass uns nun ein „Commons Tornado“ von skalierenden Projekten bevorstünde. Das hat sich zwar nicht so gezeigt, trotzdem sind die Commons ein solider Teil der digitalen Welt geworden. Die Commons werden nicht verschwinden. Sie werden in einigen Bereich florieren, aber sie werden nicht alles übernehmen, so wie es einige Optimisten vorhersagten.

Die Open-Source-Szene wächst aber hauptsächlich unterstützt von ProgrammiererInnen, die von kommerziellen Unternehmen finanziert werden. Viele der heutigen Open-Source-Programme werden also für Unternehmen geschrieben, im Gegensatz zur ursprünglichen Vision. Bspw. bei den gängigen Webbrowsern wurde ursprünglich sehr viel Quellcode untereinander ausgetauscht, weil die Entwicklung wahnsinnig komplex war.

Die Frage ist – wovon sollen die Open-Source-ProgrammiererInnen nun eigentlich leben? Wenn man Open-Source-Software wirklich fördern möchte, ohne dass sie wie üblich für Unternehmen maßgeschneidert wird, dann müssen Menschen von irgendetwas leben können. Die Idee von Professor Yochai Benkler war immer, dass die Programmierer schon irgendwie überleben werden. Entweder sie haben einen Job und verdienen Geld oder es sind junge Programmierer, die sich etablieren wollen, oder gar Menschen im Ruhestand. Sie alle möchten etwas beitragen. Um das aber zu ändern, stehen viele offene Fragen im Raum.

Hierzulande kennen wir mittlerweile alle Foodora, AirBnB, Uber, Facebook usw. – die kapitalistischen Plattformen sind so gut wie jedem bekannt. Warum aber kennt kaum jemand die kooperativen Alternativ-Plattformen? Liegt es am Geld, mangelnder Reichweite, an Marketingaspekten? Was brauchen die Alternativen, um stärkere Verbreitung zu finden?

Die Situation mag in Deutschland so aussehen. In anderen Ländern ist das Bewusstsein dafür schon eher vorhanden und die Alternativen haben eine größere Sichtbarkeit. Ein sehr großer Kritikpunkt am Plattform-Kapitalismus sind die prekären Arbeitsverhältnisse. In Deutschland ist die ökonomische Not noch nicht so groß, denn dort gibt es u.A. Arbeitnehmerrechte, Gewerkschaften, ein Sozialsystem usw. Die Menschen in anderen Ländern – sei es Indien, USA, Korea, selbst in Japan – haben eine viel größere Offenheit gegenüber alternativen Plattformen, über die man seine Arbeitsleistung organisieren kann.

Natürlich ist es für alternative Plattformen ein riesengroßes Problem, mit den Giganten im Wettbewerb zu stehen. Solche Firmen haben Millionen für Marketing, um sich in der Welt platzieren zu können. Stattdessen sollte man eher in Bereiche gehen, die eine große Nachfrage nach ArbeiterInnen haben, z.B. Altenpflege. Da braucht man kein Marketing, weil der Bedarf nach fairen Arbeitsbedingungen so groß ist. Es wäre also eine Strategie, sich auf solche Bereiche zu konzentrieren.

Es gibt aber auch Bereiche außerhalb dieser Nischen, wo Genossenschaften bereits tätig sind, ohne dass man viel davon hört – bspw. die Elektrizitäts-Genossenschaften in den USA. 42 Mio. Menschen werden dort mit genossenschaftlicher Elektrizität versorgt und 52 % aller Kabel wurden von Genossenschaften verlegt. Und es gibt Bereiche, in denen permanent nachgefragte Dienste für Millionen von Menschen eingesetzt werden können. Kooperative Cloud-Dienste z.B. oder Social Media Plattformen

Was ist eigentlich dieses „Platform Coop Development Kit“? Und wodurch unterscheidet es sich vom „Platform Design Toolkit“?

Mit dem Team vom „Platform Design Toolkit“ sind wir befreundet, aber wir arbeiten nicht direkt zusammen. Das ist eine Gruppe von Menschen in Italien, die anderen hilft, irgendwelche Plattformen auf die Beine zu stellen – auch kommerzielle.

Unser Projekt „Platform Coop Development Kit“ ist dazu gedacht, Platform-Coop-Projekte zu unterstützen. Wir bekommen ständig E-Mails von Menschen aus aller Welt, die uns um Unterstützung bitten. Sei es eine Lehrerin in Brasilien, die keine Arbeit findet – und es gibt Millionen von arbeitslosen LehrerInnen dort – oder von Uber-Fahrern in Kapstadt usw. Wir wussten bislang nicht, wie wir damit umgehen sollen, denn direkt helfen können wir ihnen nicht. Wir können ihnen aber Wissen vermitteln, sie mit anderen Akteuren bekannt machen und eine Plattform-Lösung an die Hand geben, damit sie etwas eigenes starten können. Wir bauen eine Open-Source-Plattform für Arbeitskraft, die ähnlich funktionieren soll wie Foodora und im Juli 2020 fertig sein wird.

Wir beginnen mit fünf Gruppen, die weltweit verstreut sind:

  • Ahmedabad, Indien – SEWA (Self-Employed Women’s Association of India)
  • Cataki, Brasilien – mit den Catadores (Cataxi)
  • Hamburg, Deutschland – mit Geflüchteten
  • Australien – Social Care Cooperative
  • USA – Kindesversorgung

Gemeinsam mit den genannten Gruppen suchen wir nach Wegen, gesetzliche Hürden zu überwinden, um Platform-Coops aufzubauen. Und wir wollen es leichter machen, Artikel, Videos und Ressourcen zum Thema zu finden, um den Zirkel der Leute zu vergrößern, die daran arbeiten. Und letztlich die Anfragen bedienen zu können, die uns so erreichen.

So viel in knappen Worten dazu. Interessant ist noch das „Institute for the Cooperative Digital Economy“, das wir an der New School in New York aufbauen werden (platform.coop). In diesem Forschungsinstitut werden wir uns nur auf die digitale genossenschaftliche Ökonomie konzentrieren. Dort werden auch mehrere Doktoranden (Fellows) forschen, die u.A. aus Berlin, Sao Paolo, San Francisco und Nairobi kommen. In einer Arbeit geht es z.B. um den Vergleich legislativer Hindernisse für Platform Coops in Deutschland, Frankreich und den USA.

Trebor Scholz bei SEWA (Indien), Quelle: platform.coop, Lizenz: Peer Production, P2P Attribution-ConditionalNonCommercial-ShareAlikeLicense

Digitalisierung betrifft alle. Siehst Du die Notwendigkeit, dass sich jedeR mit dem Thema auseinandersetzen muss? Stichwort: Technologie-SkeptikerInnen, alte Menschen, SelbstversorgerInnen usw.

Ja klar, auf einer persönlichen Ebene finde ich das sinnvoll. Nicht unbedingt auf der gesellschaftlichen oder ökonomischen Ebene. Auf der persönlichen Ebenen sind viele Deutsche in meiner Beobachtung technophobisch. Weil Deutschland als Industriestandort führend ist, gibt es große Skepsis gegenüber technischen Neuerungen – so scheint es mir „von außen“.

Aus meiner Sicht braucht es im Alltag eine selektive, bewusste Auseinandersetzung mit Technologie. Man weiß z.B., wie seine Wachmaschine funktioniert, da sollte man auch wissen, wie ein Computer im Groben funktioniert, wie Soziale Netzwerke funktionieren oder womit Facebook sein Geld verdient. Das sind die Punkte im Alltag, wo man zwangsläufig mit Technologie in Kontakt kommt, und da wünsche ich mir mehr Bewusstsein.

Welche Potenziale bieten Platform Coops, sich unabhängig von Staat und Markt zu organisieren?

Mit Genossenschaften hat man mehrere Vorteile:

Demokratie am Arbeitsplatz
– Raymond Williams hat einmal festgestellt, wie verwunderlich es ist, dass die Demokratie im 20. Jahrhundert ihren Weg in viele Nation States gefunden hat. Dort wo die Menschen die meiste Zeit verbringen – am Arbeitsplatz – hat es sich keinesfalls durchgesetzt.
– So etwas lösen insbesondere  „Arbeitergenossenschaften“.

Resilienz
– Nach dem Bankencrash 2008 konnte man beobachten, dass Genossenschaften länger überlebt haben als andere Unternehmensformen.
– Andere Unternehmen sind bankrott gegangen, Genossenschaften blieben bestehen.

Faire Bezahlung
– Gerade bei Genossenschaften, in denen Angestellte gleichzeitig Mitglieder sind, wird Ausbeutung verhindert.
– Mitglieder können auch selbst investieren.

Gegenseitige Unterstützung
– Es gibt ein Netzwerk von Genossenschaften, die sich untereinander stärken.

Steuervorteile
– Das ist von Land zu Land unterschiedlich, tendenziell haben Genossenschaften Vorteile.

Wie lassen sich Plattform-Strategien auf Versorgungs-Infrastruktur anwenden? Wasserwerke, Müllabfuhr, Stadtplanung, Energieversorgung etc.?

Mit einem Kollegen habe ich ein Paper verfasst mit dem Vorschlag, „Daten-Kooperativen“ für Smart Cities einzuführen. Das deckt auch die Sektoren ab, die Ihr erwähntet.

Die Idee dahinter ist wie folgt:

  • In der zunehmend digitalisierten Welt hat jeder mehr und mehr Sensoren mit Anbindung ans Internet – hauptsächlich Smartphones, aber auch viele weitere Geräte.
  • Dadurch werden diese Sensoren Teil der Infrastruktur, in der wir leben.
  • Innerhalb dieser Strukturen wird das Sammeln von Daten ein ernstes Thema.
  • Im Vereinten Königreich gibt es den Vorschlag, dass die Regierung einen Civic Data Trust einrichtet. Ein zentraler Datenspeicher, für den die Regierung treuhänderisch verantwortlich ist.
  • Wir halten Genossenschaften für einen deutlich besseren Vorschlag.
  • Gerade in einer Stadt wäre eine Genossenschaft von BewohnerInnen deutlich besser dazu geeignet, die Daten zu verwalten, die sie selbst erzeugen.

Zu dieser Idee haben wir mit einem Verschlüsselungs-Experten gesprochen, der für solche Anwendungsfälle bereits eine Lösung hat – homomorphe Verschlüsselung. Dadurch lassen sich die Daten verschlüsseln und Daten-Modelle an Infrastrukturanbieter weitergeben. Die Dateninhalte lassen sich lesen, aber es wird nicht möglich sein, sie einer Person zuzuordnen.

Derzeit können Google, Facebook und Co. nämlich genau das – es gibt keinen Schutz davor, dass Google mich wieder-identifiziert und eine Verknüpfung zwischen meiner Person und meinen Suchanfragen herstellt. Insbesondere statistische „Ausreißer“ lassen sich einfach identifizieren – Menschen mit körperlichen Einschränkungen, Einwanderer, Transgender usw. Ihre Datensätze stechen meist besonders heraus und das erleichtert die Identifikation umso mehr. Mit einer homomorphen Verschlüsselung wird eben dies verhindert und die „Daten-Kooperativen“ wären einzig Besitzer der Rohdaten.

Ich spreche hier überwiegend aus der amerikanischen Perspektive. In Deutschland mag die Situation anders sein, aber im Vereinten Königreich und in den Vereinigten Staaten sehen sich viele lokale Gemeinschaften nicht von der Regierung vertreten. Coops bieten die Möglichkeit, auch Minderheiten oder „statistische Ausreißer“ zu repräsentieren, denn jedes Mitglied hat eine Stimme. In den USA z.B. ermöglicht das Modell der Coops, dass auch Native Americans repräsentiert werden.

Gerade in Metropolen konzentrieren sich die Datenaufkommen der BürgerInnen. Daten-Kooperativen wären eine Alternative, verantwortungsvoll mit den Daten umzugehen.

Welche Art von Plattformlösungen wird die Zivilgesellschaft brauchen, um sich zu organisieren? Gibt es spezielle digitale Tools, mit denen Ihr arbeitet?

Hier kommt es auch ganz stark darauf an, von welchem Land man ausgeht. Platform Coops können nur erfolgreich sein, wenn man sich mit politischen Parteien und sozialen Bewegungen zusammentut. Es müssen Koalitionen entstehen. Mit Hinsicht auf die Tools – da gibt es natürlich Loomio und viele viele andere. Die Tools werden in Westeuropa sicherlich auch genutzt. In Entwicklungsländern gibt es ein anderes Bild – da wird in einigen Ländern außer WhatsApp kaum etwas anderes genutzt.

Um es noch einmal klarzustellen – im Alleingang wird es nicht funktionieren. In den USA haben wir bspw. mit den Gründerinnen von Black Lives Matter gesprochen. Und mit der demokratischen Partei. Oder in Deutschland hatten wir einen Austausch mit der SPD. Auch der Digitalbeauftragte der Grünen kommt uns jetzt besuchen.

In Deutschland wird gerade das Bedingungslose Grundeinkommen ernsthaft diskutiert. Wie ist die Situation in den USA und wie schätzt Du die Auswirkung auf die Zivilgesellschaft? Würden dann Plattform-Coop-Projekte wie Pilze aus dem Boden schießen?

Ich bin gegen ein Bedingungsloses Grundeinkommen. Oder zumindest muss es klar sein, von welcher Summe man denn spricht und wie sie dynamisch im Verhältnis zu Lebenshaltungskosten steht. Selbst Richard Nixon war bereits ein Befürworter.

Einige Republikaner sind Freunde des Grundeinkommens – sehen es wohl aber als einen Weg, den Sozialstaat zu zerstören. Eine weitere Befürchtung, die ich habe – insbesondere in den USA – ist, dass es kaum Möglichkeiten gibt, eine Anhebung von Lebenshaltungskosten zu verhindern. Niemand wird davon abgehalten, die Preise für Mietkosten, Krankenversicherung und Lebensmittel zu erhöhen. Dann hätten wir eine deutlich „schlechtere“ Gesellschaft als zuvor.

Um sicherzugehen, dass für alle gesorgt ist, halte ich die Idee von „Universal Basic Assets“ (Grundauskommen) für geeigneter. Sicherzustellen, dass jeder Mensch Wohnraum, Gesundheitsversorgung, Zugang zu Lebensmitteln usw. hat. So lässt sich eine Entkopplung dieser lebenswichtigen Dinge vom Preis bewirken. Und wenn für alle Menschen gesorgt wäre, würden natürlich Platform-Coop-Projekte bestens gedeihen.

Auf social.coop gibt es eine Mastodon-Installation. Was motiviert Dich, überwiegend Twitter zu verwenden, obgleich es jetzt eine Alternative zu geben scheint? Sind wir einfach zu abhängig von Facebook und Twitter?

Gute Frage. Als damals Diaspora veröffentlicht wurde, habe ich mich gleich am ersten oder zweiten Tag dort registriert und alle Leute darum gebeten, mir dort zu folgen. Stand jetzt habe ich dort glaube ich fünf Freunde.

Der Netzwerkeffekt von Facebook und Twitter ist extrem stark. Der Wert eines sozialen Netzwerks besteht darin, dass es Millionen von Menschen nutzen. Du kannst alle Alternativen bauen, die du willst – und die gibt es zuhauf. Das Problem ist aber in keiner Weise technologisch. Das Problem ist sozial – Menschen sind einfach gerne dort, wo andere Menschen sind. Und viele davon zu überzeugen, zu wechseln, das ist sehr schwer.

Auch gab es einmal den Impuls, Twitter zu kaufen – wie Nathan Schneider das einmal vorschlug. Das wurde von den Twitter-Gesellschaftern nicht sonderlich begrüßt. Gerade einmal 3 % der Gesellschafter haben zugestimmt, dass der Vorschlag überhaupt diskutiert wird. Spannend in dem Zusammenhang ist auch die Ungleichheit der Geschäftsanteile. Wenn man die fünf „stärksten“ Gesellschafter nicht überzeugen kann, hat man keine Chance. Das ist nicht besonders demokratisch. Im Moment sieht es also so aus, als gäbe es da noch keine einfache Lösung.

Menschen sind einfach gerne dort, wo andere Menschen sind. Deswegen werden alternative soziale Netzwerke eher selten genutzt.

Digitalisierung ist das eine. Welche Lösungen brauchen wir noch für eine zukunftsfähige Gesellschaft?

Wie eben schon erwähnt ist auch bei Platform Coops das Problem nicht technischer Natur. Natürlich ist es toll, wenn es Open Source Plattformen gibt. Aber im Endeffekt geht es um Menschen. Und das größte Problem, das ich sehe, ist, sich einig zu werden.

Ich habe mich kürzlich mit allen Vorständen der Transport-Coops aus Brasilien getroffen. Das sind 45 VertreterInnen für Taxi- und FernfahrerInnen. Sie waren sich alle darüber einig, dass es eine Plattform Genossenschaft bräuchte. Aber wie die genau aussehen sollte, darüber gab es einige Uneinigkeiten und am Ende kam man zu keiner einstimmigen Lösung. Governance-Themen (Steuerungs- und Regelungsfragen) sind deutlich größer als technologische Probleme. Hier würde ich mir bessere Methoden wünschen, wie Menschen zu einem Einverständnis kommen.

Derzeit formiert sich im deutschsprachigen Raum ein Bündnis für den sozial-ökologischen Wandel. Ziel des Bündnisses ist es, Synergien zu fördern und Strukturen für alle Beteiligten zur Verfügung zu stellen – z.B. bessere Außenwirkung, Ressourcen teilen, Lobbyismus betreiben usw. Welche Ansprüche hättest Du an ein solches Bündnis – welche Services müsste Deiner Meinung nach so etwas anbieten?

Eine der Sachen, die ich interessant finde, sind Data Commons. Die Macht der großen Player der Plattform-Ökonomie besteht im Besitz enormer Datenmengen. Diese Daten können sie nicht nur verkaufen, sondern sie verstehen ihre BenutzerInnen viel besser. Dadurch können diese gezielt angesprochen und manipuliert werden – durch Information, Unterhaltung und Produktangebote.

Einen Vorschlag von Andrea Nahles fand ich in diesem Zusammenhang spannend – und zwar, dass Unternehmen ab einer gewissen Größe einen Anteil ihrer Daten öffentlich zur Verfügung stellen sollten. Der Grund ist: durch diesen Datenschatz ist der Wettbewerbsvorteil der Großunternehmen so gigantisch, dass es kleinen Unternehmen so gut wie unmöglich wird, mit ihnen im Wettbewerb zu stehen. Wenn heutzutage zwei Studenten hergehen würden und eine Suchmaschine programmieren wollten – so wie damals Sergey Brin und Larry Page, als sie Google erfanden – würden sie erbärmlich scheitern.

Data Commons ermöglichen es, dass der Datenschatz der Allgemeinheit zurückgegeben wird und wieder im Sinne der Allgemeinheit eingesetzt werden kann.

Titelbild: CC BY 2.0 – Rosa Luxemburg-Stiftung – flickr.com

3 Antworten auf „Trebor Scholz – „Wovon sollen Open-Source-ProgrammiererInnen eigentlich leben?““

  1. Sehr interessanter Artikel. Ich habe mit der Energiewendebeschleunigung seit 2008 Experimente gemacht und Geschäftsmodelle entwickelt und auch schon umgesetzt. Ich will das Ganze jetzt als Open Source Idee weiter voran bringen. Wie ist es, wenn das Unternehmen sich selber gehört , seiner Idee, als Alternative zur Genossenschaftsform?

    Viele Grüße aus Berlin
    Eva-Catrin Reinhardt

  2. Vielen Dank, lieber Herr Schulz. Zum Thema:
    „Hier würde ich mir bessere Methoden wünschen, wie Menschen zu einem Einverständnis kommen.“: Ich empfehle das Systemische Konsensieren wärmstens, um gut, zügig und zumeist auch mit großer Zufriedenheit zu einem Egebnis zu kommen. Lohnt sich, das auszuprobieren.

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